Mitten im Pazifischen Ozean liegt die Osterinsel, ungefähr auf halber Strecke zwischen Tahiti und dem 3700 Kilometer entfernten südamerikanischen Festland. Diese abgeschiedene Lage macht sie zu einem der einsamsten Orte auf der Erde. Politisch gehört die Isla de Pascua zu Chile, eigentlich bildet sie jedoch den östlichsten Punkt des polynesischen Dreiecks, das im Westen von Neuseeland und im Norden von Hawaii begrenzt wird.

Von oben gesehen hat die Insel die Form eines Dreiecks, dessen Eckpunkte von den Resten dreier großer erloschener Vulkane gebildet werden. Sie erheben sich bis zu 507 Meter über den Meeresspiegel. Steilküsten, Kraterseen und viele kleine bizarre Hügel prägen die Landschaft. Die 170 Quadratkilometer sind übersät mit schwarzen Lavabrocken und unterirdisch von natürlichen Höhlen und Gängen durchzogen.

Pollenfunde belegen, daß Rapa Nui einmal bewaldet war. Aber ihre Bewohner haben wohl alles Holz für Boote, die Zubereitung von Mahlzeiten sowie für Kunst- und Gebrauchsgegenstände verbraucht, und bis heute hat sich die Pflanzenwelt nicht davon erholt. Abgesehen von einigen Büschen und Sträuchern beherrscht zähes gelbgrünes Gras den kargen Boden. In jüngerer Zeit wurden Eukalyptuswäldchen und einige Palmen angepflanzt, und es wurde versucht, den endemischen Toromiro-Baum wieder heimisch zu machen – aber im November 1994 ging das letzte Pflänzchen in seinem schwarzen Plastiktopf ein.

Die ersten Menschen erreichten das Eiland etwa um 700 nach Christus. Um 1400 folgte eine zweite Gruppe von Seefahrern. In großen doppelrümpfigen Kanus kamen sie von weiter westlich gelegenen polynesischen Inseln, um neues Land zu suchen. Vielleicht war die Heimat übervölkert, vielleicht flohen sie vor einem Krieg. Ein ganzer Volksstamm unter der Führung des legendären Hotu Matua, Adlige, Handwerker und Krieger, landete in einer sandigen Bucht und brachte alles mit, was er zum Leben brauchte: Geflügel, Katzen und Hunde, Schildkröten und viele Kulturpflanzen wie Bananen, Kürbis und Yams. Nach ihrem Ankunftsdatum nannten sie die Bucht Anakena, was August bedeutet.

Ihre Kultur entwickelte sich unabhängig von äußeren Einflüssen. Für die Bewohner war die Insel die ganze Welt, und von anderen Menschen und Erdteilen wußten sie bald nur noch aus Überlieferungen. Sie nannten ihre Insel Te Pito O Te Henua, den Nabel der Welt. Noch heute heißt ein sehr großer, glatt und rund geschliffener Stein so, der an der Nordküste liegt.

Es entstanden viele Dörfer mit den typischen bootsförmigen Langhäusern, deren Steinfundamente noch überall zu sehen sind. Man errichtete große Kanurampen sowie Kult- und Grabstätten, auf denen im Laufe der Jahrhunderte immer größer werdende Steinfiguren aufgestellt wurden. Sie begründeten den Ruhm der Insel bis heute und boten Anlaß zu den verwegensten Spekulationen, bis hin zur angeblichen Landung Außerirdischer.

Diese Moai standen meist mit dem Rücken zur See auf den Ahu genannten Plattformen an der Küste. Die größte jemals aufgerichtete Statue ist fast zehn Meter hoch und wiegt an die einhundert Tonnen. Moai symbolisierten Verstorbene und waren Träger von Mana, machtvoller geistiger Energie. Etwa neunhundert Steinkolosse wurden aus dem relativ weichen Tuffstein des Vulkans Rano Raraku geschlagen, von denen wohl dreihundert dort noch immer auf ihren Abtransport warten. Der größte von ihnen ist fast einundzwanzig Meter hoch und noch mit dem Berg verbunden.

Geschickt wurden die unterschiedlichen Gesteinsvorkommen eingesetzt: den harten Basalt verwendete man zur Herstellung der Beile, die rote Schlacke des Vulkans Puna Pao für die aufgesetzten Haarknoten der Figuren. Und aus dem Obsidian des Berges Orito, schwarzem vulkanischen Glas, fertigte man messerscharfe Speerspitzen.

Die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Stämmen, vielleicht auch ökologische und Raumprobleme, führten zu Konflikten. Der Legende nach sollten die zuletzt eingewanderten „Kurzohren“ die ganze Halbinsel Poike von herumliegenden Steinen säubern, was zu einer blutigen Schlacht führte, in deren Verlauf die alteingesessenen „Langohren“ fast völlig vernichtet wurden. Mit ihnen ging auch die alte Kultur zugrunde. Viele Statuen wurden umgestürzt, die Insel verwüstet, der Kannibalismus griff um sich. Nach Augenzeugenberichten wurden die letzten Menschen um 1890 zu Füßen des einzigen noch stehenden Moai verspeist.

Als erster Europäer sichtete der holländische Kapitän Roggeveen Rapa Nui und benannte es wiederum nach dem Tag seiner Ankunft: es war der Ostermontag des Jahres 1722. Er traf auf friedliche Insulaner, aber schon sein nur eintägiger Aufenthalt endete damit, daß einige vermeintliche Diebe von den Seeleuten erschossen wurden. Das war der Beginn der fast endgültigen Auslöschung des Volkes in den nächsten einhundertfünfzig Jahren. Immer wieder deckten sich europäische und amerikanische Segler auf der Insel mit Proviant, Frauen und Sklaven ein. Um 1862 entführten Peruaner einen großen Teil der Bevölkerung, der auf den Guanofeldern arbeiten mußte. Etwa neunhundert Insulaner starben dort, und als die fünfzehn Überlebenden auf Drängen des Bischofs von Tahiti auf die Insel zurückgebracht wurden, infizierten sie die verbliebenen Einheimischen mit den Pocken. Die Epidemie kostete wiederum viele Menschen das Leben. 1866 begannen Missionare mit der Christianisierung und zwangen die Inselbewohner, ihre alten Traditionen aufzugeben. 1869 tauften sie den letzten Eingeborenen, und 1877 lebten nur noch einhundertelf Menschen auf Rapa Nui.

1888 annektierte der Chilene Policarpo Toro die Insel. Sie wurde an englische Schafzüchter verpachtet, die den Ort Hanga Roa einzäunten, um die sechzigtausend Schafe vor der hungrigen Bevölkerung zu schützen. Nach und nach begannen europäische Forscher, sich für die Reste der alten Kultur zu interessieren. Katherine Routledge (1914), Alfred Métraux (1934) und Thomas S. Barthel (1957) versuchten zu retten, was zu retten war und legten den Grundstein zur Erforschung der Geschichte der Osterinsel. Am bekanntesten wurde der Norweger Thor Heyerdahl, der Mitte der fünfziger Jahre bisher unbekannte Moai ausgrub und ihren Transport und ihre Aufstellung zu rekonstruieren versuchte. Er bekam Zugang zu geheimen Familienhöhlen, in denen alte Kultgegenstände verwahrt wurden, und brachte zahlreiche Stücke nach Oslo. Immer wieder versuchte er seine Theorie zu beweisen, Rapa Nui sei von Südamerika aus besiedelt worden. Mit seinem Floß Kon Tiki, das nach alten andinen Vorbildern gebaut worden war, schaffte er es 1947 tatsächlich, sich vom Festland bis in die Südsee treiben zu lassen – landete aber auf dem Tuamotu-Archipel. Über seine Reisen schrieb er spannende und faszinierende Bücher. Allerdings stehen die meisten seriösen Wissenschaftler seinen Theorien und Methoden heute mehr als skeptisch gegenüber.

Pater Sebastian Englert war von 1937 bis 1969 der Seelsorger der Insel. Neben seinem Einsatz für die Leprakranken machte er sich vor allem um die Erforschung der Sprache und Grammatik sowie die Aufzeichnung der alten Legenden verdient. Er inventarisierte die Statuen und Bauwerke und gründete das Inselmuseum. 1955 übernahm die chilenische Marine die Schafsfarm und rückte die Insel damit mehr in das Blickfeld des Staates. Als 1964 ein kleiner Flughafen gebaut wurde und mehrere Expeditionen eintrafen, nutzten die Osterinsulaner das wachsende öffentliche Interesse und verfaßten einen offenen Brief an den neuen Präsidenten Eduardo Frei, in dem sie auf ihre Quasi-Gefangenschaft hinwiesen und das Wahlrecht sowie die Unabhängigkeit forderten. Daraufhin bekam Rapa Nui 1966 tatsächlich einen neuen rechtlichen Status, und ein Bürgermeister wurde gewählt.

Seit 1967 wird der Flughafen auch kommerziell genutzt. Zwei Mal die Woche landet ein Flugzeug, das von Santiago de Chile nach Tahiti und zurück fliegt. So hat die Osterinsel den Anschluß an den Rest der Welt gefunden.